Der Fluch der unendlichen Auswahl

Wir träumen alle vom Traumpartner, vielleicht sogar von Liebe auf den ersten Blick. Aber da gibt es so viele potentielle Partner! Wie sollen wir denn wissen, wer die oder der Richtige ist? Also lassen wir das Schicksal entscheiden. Wir suchen nicht – wir lassen uns finden. Doch, wenn sich alle finden lassen wollen, wer sucht uns dann? Und wollen wir uns von denen auch finden lassen? Gibt’s nicht noch besseres? Also probieren wir uns mal durch, warten bei potentiellen Partnern unverbindlich darauf, was sich daraus entwickelt, verlieren bei so vielen Freunden auch mal den Überblick, lassen Kontakte einschlafen, und statt sie zu pflegen, sortieren wir regelmäßig aus.

Wie wollen wir also irgendwann von unserem wichtigsten Kennenlernen erzählen? Ich hab‘ mir jahrelang nicht die Zeit nehmen wollen? Ich wollte mein Leben genießen und nicht lange Mißverständnisse klären? Er war mir einfach nicht wichtig genug? Nein, die Geschichte unserer Liebe ist romantisch, leidenschaftlich, eindeutig. Wenn eine Geschichte anders beginnt, dann kann das nichts werden. Das ist doch klar, oder? Also wieder aussortiert.

Ähnliches habe ich auch immer wieder bei Projekten gehört: „Da gibt es so vieles, was ich tun will. Wie kann ich mich da entscheiden?“ Und statt einfach mal mit einem anzufangen, werden Gründe zum Nicht-mitmachen gesucht. Und wenn keine gefunden werden können, dann werden sie erfunden oder provoziert. Und wer engagiert genug Streit sucht, wird ganz sicher irgendwann auch einen finden. Wenn nicht mit einer realen Person, dann mit den eigenen Projektionen. Denn auch wenn unser Gegenüber ruhig bleibt, geduldig nachfragt, zu klären versucht, können wir versteckte Vorwürfe, unterschwellige Feindseligkeiten oder sonst irgendeinen Schmarren hinein interpretieren. Alles damit wir sagen können, „ich würde ja gerne, aber …“ Daß wir damit nicht nur uns sondern auch anderen schaden, daß wir Projekte schädigen oder gar zerstören, daß wir realen Menschen Wunden zufügen, wird dabei gerne verdrängt. Wir wollen ja nicht in der Vergangenheit leben. Also schnell zum nächsten Projekt, zum nächsten Traummann, zum nächsten Alptraum, den wir uns selber erschaffen. Wer nicht aus der Vergangenheit lernen will, ist dazu verflucht, sie zu wiederholen.