Single

Single

Ich wollte mein ganzes Leben lang eine Familie gründen. Wie kommt es also, daß ich immer noch single bin? „Ein Kerl, der so lange alleine ist, muß doch vollkommen beziehungsgestört oder gar pervers sein.“ Oder kann so ein Vorurteil auch zur sich selbst erfüllenden Prophezeihung werden?

Ich war immer schon recht schüchtern und fand mich selber auch nie besonders attraktiv. Zwar lernte ich meine Schüchternheit in „ungefährlichen“ Situationen z.B. mit glücklich vergebenen besten Freundinnen so gut zu überspielen, daß mir meine Schüchternheit manchmal gar nicht geglaubt wurde, im entscheidenden Moment blieb ich jedoch fast immer zu zurückhaltend. Nicht nur als Teenager war ich deshalb auch meist alleine, und auch später lernte ich Frauen nie beim Fortgehen kennen. Da aber meine Freunde meistens dachten, ich kenne eh so viele Leute, stellten sie mir nie potentielle Freundinnen vor. Auch in meiner Arbeit im Gefängnis ließ sich selbstverständlich keine Partnerin finden. Und bei den von mir organisierten Sozialprojekten fanden sich zwar einige Paare, aber ich hätte es als unseriös empfunden, mir selber bei solchen Projekten eine Freundin zu suchen. Dennoch schienen mir Diskussionsrunden eine viel interessantere Möglichkeit, um Menschen kennenzulernen, als Partys oder sonstiger Konsum. Und bis jetzt lerne ich Menschen lieber primär zum Austausch oder noch lieber zum gemeinsamen Arbeiten an verschiedenen Projekten kennen. Wenn sich daraus eine Freundschaft oder vielleicht sogar später auch eine romantische Beziehung entwickelt, so steht diese auf einer guten Basis, auch wenn ich mich inzwischen von meinem Traum, eine Familie zu gründen, altersbedingt realistischerweise verabschieden mußte.

Aber warum war mir dieses Glück verwehrt? Mit meiner ersten Freundin, davor langzeit-beste-Freundin und ein Jahr lang Verlobten sah es noch ganz danach aus, als würden sich meine Familien-Träume schon in jungen Jahren erfüllen. Aber dann beschlossen wir beide, doch lieber nur befreundet zu sein. In Laufe der Jahre zeigte sich, daß dies eine gute Entscheidung war, auch wenn sich die darauf folgenden Bekanntschaften selten als zur Familiengründung geeignet erwiesen.
Meine Zwanziger waren als Lehr- & Wanderjahre vom Erkunden vieler neuer Welten, unterschiedlichster Denk- & Lebensweisen und unzähligen neuen Kontakten aber auch oft von Fremde, Einsamkeit und schrecklicher Unverbindlichkeit geprägt. Neugierde beschert ein erfahrungsreiches Leben voller ungewöhnlicher und interessanter Menschen, aber diese sind meist nicht gerade die Beziehungsfähigsten. Selber aus einer Familie stammend, in der Beziehungsarbeit lieber delegiert wurde, habe ich sehr mühsam aber vielleicht gerade deshalb umso besser gelernt, über Gefühle zu sprechen, und schließlich diese Fähigkeiten als Therapeut sogar professionalisiert. Aber schon in Jugendjahren heulten sich Mädchen aufgrund meiner Schüchternheit oft nur bei mir aus, obwohl ich mir eigentlich mehr gewünscht hätte.
In meiner lebenslangen Freude, immer weiter dazuzulernen, konnte ich mir noch viele wertvolle Fähigkeiten aneignen. Ich habe beruflich und privat immer aus Fehlern gelernt. Und so waren auch einige große Herausforderungen in den Dreißigern gute Gelegenheiten mich weiterzuentwickeln, aber leider für Partnersuche & Nestbau nicht gerade förderlich. Meine Therapeutin formulierte dies einmal etwa so: „Herr Hoog, Sie wollen manchmal sehr lange nicht wahrhaben, wenn etwas nicht möglich ist, wenn jemand etwas einfach nicht klären will oder schlicht nicht beziehungsfähig ist. Das kostet Sie viel Zeit.“

Außerdem war mir Integrität immer sehr wichtig. Und so scheiterte manche Beziehung schon daran, daß die eine oder andere durchaus sehr interessierte Frau zwar nächtelang von Emanzipation sprach, aber nicht emanzipiert auch einen Schritt auf mich zu ging, oder manche Partnerin zwar immer wieder gerne davon sprach, wie stolz sie auf ihre berufliche Karriere war, aber wenn das Gespräch darauf kam, wie wir im Falle einer Schwangerschaft handeln sollten, war plötzlich unumstößlich, daß sie dann zu Hause bleiben wolle, und ich die Familie alleine zu ernähren hätte. Noch lieber suchten die vermeintlich Emanzipierten jedoch jemanden, dem es noch wichtiger war, möglichst viel Geld zu verdienen. So wurde ich zwar sehr oft wegen meines verantwortungsvollen, ungezwungenen, einfühlsamem, unterstützenden und in noch vielerlei Hinsicht mehr vorbildlichen Umgangs mit Kindern gelobt, ja manchmal gar als „perfekte Mutter & Vater“ bezeichnet, nur wollte niemand tatsächlich mit mir Kinder haben.
Ich war mit der gleichberechtigten Aufteilung der häuslichen Arbeit aufgewachsen und wegen meiner vielfältigen kreativen Tätigkeiten immer nur in Teilzeit unselbständig erwerbstätig. Glücklicherweise hatte ich von klein auf gelernt, einerseits sehr sparsam zu leben, und andererseits unabhängig von Wirtschaftskrisen eine Familie tatsächlich konkret zu ernähren. Und im Laufe der Jahrzehnte wurden mir die Unabhängigkeit von Geld und die Alternativen zum Kommerz immer wichtiger. Durch die Selbermacherei, die auch als umweltfreundliche Renaissance der sparsamen, „guten Hausfrau“ gesehen werden kann, wäre ich noch mehr der perfekte Partner für die vielen Karrierefrauen gewesen. Doch eben leider nur im Konjunktiv.

In den letzten Jahren traf ich dann zwar immer öfter auch eine neue Generation emanzipierter Frauen, die aktiv auf Männer zu ging, aber nur um sie schnell mal „auszuprobieren“. Es ist zwar vollkommen klar, daß dies gar nicht funktionieren kann, weil ein One-Night-Stand logischerweise gar keine Motivation hat, um ein einfühlsamer, phantasievoller, ausdauernder Liebhaber zu sein, sondern nur mal schnell „in den anderen rein wichst“.
Weil mir die Intimität und das Vertrauen in einer Beziehung immer schon wichtiger waren, hatte ich auch fast immer nur ein oder zwei Mal im Jahr (für trotzdem leider meist sehr kurze Zeit und bis jetzt im Frühling 2019 schon seit fünf Jahren gar keinen) Sex. Aber ich hatte im Laufe meines Lebens ohne dies zu beabsichtigen schon genug Frauen, so daß die nächste sehr gerne auch die letzte sein kann.

Schließlich gewöhnte ich mich in den Vierzigern immer mehr an den Gedanken, daß mir eine Familie und eigene Kinder wohl nicht vergönnt sein werden. Ich habe schon früher gelernt, diesen Lebenstraum zu kompensieren, in der Kinderpsychosomatik und Jugendpsychiatrie gearbeitet, mich viel um meine Paten- und andere Freundeskinder gekümmert und auch sonst auf vielfältigste andere Weisen meine Spuren in der Welt hinterlassen. Und bei diesem Spurenhinterlassen, also beim Gestalten einer lebenswerteren Welt für alle, freue ich mich auch immer über Mitwirkende, Gefährten, Freunde. Und sollte sich je doch noch irgendwann auch eine Partnerin, eine Liebhaberin und vielleicht gar noch die Mutter meiner Kinder in mein Leben wagen, so lasse ich mich sehr gerne vom Leben überraschen.